Brief eines Sohnes an seine Eltern

Wir Eltern geben unser Bestes, um unsere Kinder auf ihrem Weg ins Erwachsenenleben liebevoll und verständnisvoll zu begleiten. Und dann kommt uns manchmal der Alltag dazwischen. Dann kann es helfen, uns wieder zu erinnern und den Kurs zu korrigieren, damit wir unseren Kindern die Liebe und das Verständnis geben können, das sie verdienen.

Wie geht es deinem Teenager? Geht es ihm gut? Fühlt er sich verstanden und unterstützt?

Als ehemalige Lehrerin und Teenscoach habe ich in den letzten 30 Jahren so viele Teenager getroffen, die sich von ihren Eltern unverstanden und abgelehnt fühlen, obwohl ich wusste, wie viel Mühe sich ihre Eltern täglich gaben und wie viele Gedanken sie sich machten, um gute Eltern zu sein

Im heutigen Blog-Artikel möchte ich mit dir einen fiktiven Brief aus der Sicht eines Jungen teilen, der über seine Gefühle in Bezug auf sich und seine Eltern schreibt. Darin habe ich die Gedanken vieler Teenager zusammengefasst, die sie mit mir geteilt haben.

Ich hoffe, dass ich dich mit diesem Artikel inspirieren kann und du neue Impulse für einen Perspektivenwechsle bekommst, damit die Beziehung zu deinem Teenager (wieder) gestärkt werden kann.

Wenn dir mein „Brief“ gefällt, dann hinterlasse gerne einen Kommentar oder teile ihn mit anderen Eltern von Teenies.

Liebe Mama / lieber Papa,

es fällt mir jetzt wirklich schwer, das zu schreiben. Weil Jungs in meinem Alter das normalerweise nicht machen und es uncool ist. Aber ich sage es jetzt trotzdem, weil ich mir so sehr wünsche, dass wir weniger streiten und du mich genauso lieb hast, wie ich dich. Ich weiß, ich lasse dich das momentan nicht so oft spüren. Doch kannst du dich noch erinnern, wie ich mich letztens kurz an dich gekuschelt und dich gedrückt habe? Ich weiß, das war ein bisschen zu fest. Das ist aber momentan mein einziger Weg dir zu zeigen, dass ich dich lieb hab. Ich werde ja erwachsen und ich weiß noch nicht, wie das geht.

Daher mag ich dir heute auf diesem Weg zeigen, wie es mir geht.

Wie ich mich fühle, wenn du immer an mir rumnörgelst. Es macht mich total traurig und ich fühle mich wie der größte Versager auf der Welt. Ich weiß, dass ich nicht immer alles richtig mache, aber ich versuche doch, mein Bestes zu geben.

Letztens hast du mich angeschrien und mir das WLAN abgedreht, weil ich wieder stundenlang gezockt habe. Ich konnte nicht einmal abspeichern. Alles ist jetzt weg, was ich mir erarbeitet habe. Mein Team war so sauer auf mich und hat mich beschimpft, weil ich sie im Stich gelassen haben. Es war soooo frustrierend. Ich habe geschäumt vor Wut und hatte gleichzeitig ein schlechtes Gewissen, weil ich ja weiß, dass ich zu viel spiele und dass ich dich traurig oder wütend mache.

Aber momentan ist das für mich gerade das Einzige, was mir Spaß macht und mich entspannt. In der Schule habe ich gerade mega viel Stress, die Lehrer meckern uns auch ständig an. Nie können wir was richtig machen. Meinen Freunden geht es auch so.

Ihr Erwachsenen gebt uns so oft das Gefühl, dass wir nichts richtig machen können. Nie ist es genug. Alles, was wir machen, ist falsch. Und ich bin einfach müde, traurig und genervt. Mich macht das total fertig.

Und dann gibt es noch diese Sache mit dem Haushalt.

Ich weiß, dass ich helfen sollte, aber manchmal habe ich einfach keine Lust. Dann sagst du mir, dass ich faul bin und dass ich nie was auf die Reihe kriege. Dabei wäre es für mich viel leichter, wenn du mich einfach mal fragen würdest und mich dann auch wieder mal in Ruhe lassen würdest. Ich weiß doch selbst, dass ich helfen sollte, aber ich will doch auch mal Zeit für mich haben.

Und weißt du was? Ich weiß, dass ich nicht mehr das kleine Kind bin, das du in den Arm nehmen kannst, wenn es traurig ist. Aber manchmal wünsche ich mir das so sehr. Manchmal will ich einfach nur deine Liebe und Geborgenheit spüren und nicht immer nur Kritik und Vorwürfe hören.

Ich weiß, dass du es gut mit mir meinst.

Dass du willst, dass ich glücklich bin und einmal ein erfolgreiches Leben führe. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass du vergisst, dass ich auch noch ein Kind bin und dass ich Fehler machen darf. Ich brauche deine Unterstützung und deine Liebe, um zu wachsen und zu lernen. Und vor allem brauche ich dein Vertrauen.

Ich wünschte mir so sehr, dass du mir vertraust, dass ich das schon hinkriege. Das mit der Schule und mit dem zocken. Ich habe nur noch nicht herausgefunden, wie es geht. Hast du als Teenager keine Fehler gemacht? Hast du dich da nie so gefühlt, wie ich mich jetzt, wenn ich das Gefühl habe, dass ich nichts auf die Reihe bekomme und mich dann hinter meinen Spielen verstecke? Und hast du dir nie gewünscht, dass dich deine Eltern einfach nur verstehen und zu dir halten?

Also bitte versuche doch mal, mich zu verstehen und mit mir zu reden, anstatt immer nur zu schimpfen. Wahrscheinlich weißt du nicht, dass ich mir nichts mehr wünsche, als dass du mich lieb hast, so wie ich bin. Und ich weiß ich bin gerade schwierig. Ich kenn mich ja oft selber nicht mit mir aus.

Doch gefühlt dreht sich unsere ganze Kommunikation nur um Schule, Lernen und Zocken.

Und natürlich, dass ich dir nicht im Haushalt helfe.

„Hast du schon gelernt?“
„Hast du deine Hausaufgaben gemacht?“
„Hör endlich auf zu spielen!“
„Leg das Handy weg!“
„Du hast überhaupt nichts anderes mehr im Kopf als dein Handy!“
„Nie tust du, was du zugesagt hast!“
„Du hast den Geschirrspüler schon wieder nicht ausgeräumt!“

Nur Angriffe und Nörgelei und dann wunderst du dich, dass ich nicht mehr aus meinem Zimmer rauskommen will, wenn ich ständig angepflaumt werde?

Ich wünsche mir so sehr, dass du dich für mich und meine Interessen interessierst und mich unterstützt, anstatt dich darüber lustig zu machen.

Ich würde mich so sehr darüber freuen, wenn du mir das Gefühl geben könntest, dass ich dir wichtig bin.

Danke trotzdem, dass du immer für mich da bist.

Auch wenn wir uns grad für meinen Geschmack viel zu oft streiten. Ein Teil von mir weiß, dass du mich liebhast und dass du nur das Beste für mich willst. Aber der andere ist total traurig, weil deine Handlungen und vor allem deine Worte mir ein anderes Gefühl geben.

Daher bitte ich dich, daran zu denken, dass ich noch ein Teenager bin, dass ich meine eigenen Probleme habe und dass ich erst lerne, erwachsen zu werden. Und beim Lernen darf man Fehler machen. Sagst du zumindest immer.

Ich hab dich lieb. Du mich hoffentlich auch.

Dein manchmal sehr verzweifelter Sohn

12 Kommentare
  1. Katrin Rohmeiß
    Katrin Rohmeiß sagte:

    Liebe Ines,

    Was für ein wundervoller Brief.
    Von Herzen danke für diesen sehr berührenden Text.
    Möge dieser Brief ganz viele Menschen erreichen und ihre Herzen öffnen.
    Danke für dich in meinem Leben 💞

    Antworten
    • inesbergerat
      inesbergerat sagte:

      DANKE, liebe Katrin, für dein Feedback. Ich habe mich sehr darüber gefreut. DANKE auch für deine Wertschätzung. Ich hoffe sehr, dass das Verstehen zu mehr Verständnis und Empathie und daher zu weniger Konflikten in Familien führt.
      Herzliche Grüße zu dir.💝

      Antworten
  2. Sabine Gruber
    Sabine Gruber sagte:

    Großes Dankeschön für diesen Herzensöffner Brief, mein inneres Kind weint voller Mitgefühl, mein Mama Herz denkt wie Wahr! Ein kleiner Teufelskreis! Ich versuche nun meinen Sohnemann auch wieder mehr Verständnis entgegen zu bringen und mir, und das 1×1 der Pubertät von Ines umzusetzen.

    Antworten
    • inesbergerat
      inesbergerat sagte:

      DANKE von Herzen, liebe Sabine, für deine berührende Rückmeldung. Was hat dein Sohn für ein Glück, so eine wundervolle Mama zu haben, die bereit ist. gemeinsam mit ihm zu wachsen.
      Ich wünsche dir liebe volle Geduld und Freundlichkeit (vor allem auch mit dir selbst). Alles Liebe. Ines

      Antworten
  3. Andrea S.
    Andrea S. sagte:

    Liebe Ines,
    Wow, das war jetzt genau das Richtige für mich, das musste ich hören/lesen. Morgen habe ich Gespräch beim Rektor und ich hoffe, ich kann im Sinne meines Sohnes sprechen.
    Danke dafür!!
    Alles Liebe, Andrea

    Antworten
    • inesbergerat
      inesbergerat sagte:

      Danke, liebe Andrea, für dein Feedback. Ich freue mich sehr, dass dich mein Artikel unterstützt hat und wünsche dir alles Gute für das Gespräch. Du rockst das. Alles Liebe Ines

      Antworten
  4. Simone Krause
    Simone Krause sagte:

    Liebe Ines, von Herzen Danke für diesen Brief. Es fühlte sich an, als würde ich mit meinem Sohn im Gespräch sein und er kann sich fallen lassen und einfach erzählen.
    Mir liefen die Tränen beim Lesen. Das hat etwas gelöst und auch befriedet in mir.
    Ihn so sein lassen können, wie er ist…
    Herzliche Grüße, Simone

    Antworten
    • inesbergerat
      inesbergerat sagte:

      Liebe Simone, wie schön. Deine Zeilen berühren mich sehr tief und ich bin dir sehr dankbar für deine wundervolle Rückmeldung.
      Was hat dein Sohn für ein Glück mit dir. Herzliche Grüße. Ines

      Antworten
  5. Sigrid Deimel
    Sigrid Deimel sagte:

    Liebe Ines!
    Danke für den Gedankenanstoß! Mir geht es gerade mit meinen 13 jährigen Zwilligen so und ich hab das Gefühl, dass ich gerade alles falsch mache.Aber ich werde sie fragen,ob sie sich geliebt fühlen und wann..Danke für Deine wunderbare Arbeit .Du hilft mir sehr oft weiter.
    LG Sigrid

    Antworten
    • inesbergerat
      inesbergerat sagte:

      Liebe Sigrid, ich freue mich sehr über deine Wertschätzung. Sooo schön, dass du immer wieder dabei bist und dir
      Stärkung erlaubst. Denn wie du weißt haben sooo viele Eltern in der Pubertät ihrer Kinder das Gefühl „alles“ falsch gemacht zu haben. Das scheint ein Stück weit dazuzugehören und du kriegst es auch noch doppelt ab. Also sei liebevoll und freundlich zu dir. Du hast es verdient.
      Alles Liebe
      Ines

      Antworten

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