Spüren unsere Kinder unsere Liebe?

Ich nehme den Kommentar einer Leserin auf meinen letzten Artikel zum Anlass, um die Frage „Können unsere Kinder unsere Liebe auch spüren?“ aus der Perspektive der Eltern näher zu beleuchten.

Die Leserin hat einen sehr wichtigen Gedanken aufgeworfen: es gibt viele Eltern, die kognitiv zwar wissen, was richtig wäre zu tun, die das aber aufgrund ihrer eigenen Kindheitserfahrungen oft (noch) nicht umsetzen können. Aus dieser Diskrepanz entstehen dann oft Selbstverachtung und Verzweiflung bei den Eltern, da sie ihren Kindern (noch) nicht das geben können, was diese eigentlich bräuchten.

Die Perspektive der Eltern zum Thema Kinderliebe

Ich kenne diese Gefühle aus meinem eigenen Erleben als Mutter zweier mittlerweile erwachsener Kinder sehr gut. Es tut unglaublich weh, zu merken, dass man es (noch) nicht schafft, das, was man als richtig und wichtig erkannt hat, auch in der Realität umzusetzen.

Vor ca. 15 Jahren habe ich erkennen dürfen, dass Kindererziehung, so wie sie sich damals für mich als richtig dargestellt hat, bei meiner Tochter oft nicht „anwendbar“ war. Manches, was mir und unserer Familie wichtig war, war nicht mit meiner Tochter kompatibel. Das ging so weit, dass ich meinem Kind gegenüber manchmal wirklich unangenehme Gefühle entwickelte, für die ich mich aus tiefstem Herzen schämte.

Ich war lange Zeit so davon überzeugt, zu wissen, was gut und richtig für mein Kind ist, dass ich meine Tochter darüber völlig übersah. Und sie zeigte täglich auf, dass etwas für sie schief lief. Nur konnte ich es nicht so sehen. Ich war der Meinung, dass es an ihr lag. In meiner damaligen verzweifelten Situation holte ich mir professionelle Unterstützung und erkannte binnen weniger Einheiten, dass nicht mein Kind, sondern meine Glaubenssätze und Werte bezüglich Kindererziehung hinterfragt werden mussten.

Eine Frage der inneren Werte

Als ich begann, eine „Erziehungshaltung“ zu entwickeln, in der es nicht darum geht, dass ICH weiß, was für mein Kind richtig ist, sondern dass die Beziehung zu meinem Kind im Mittelpunkt stehen sollte, hat sich das Verhalten meiner Tochter binnen kürzestem verändert. Sie hat offensichtlich gefühlt, dass ich erkannt habe, dass ich an mir und meinen Werten und Glaubenssätzen arbeiten muss, und dass sie gut so ist, wie sie ist.

Die Haltung, für die ich mich damals entschieden hatte, war eine Kopfentscheidung. Das heißt nicht, dass ich sofort in der Lage war, das jederzeit umzusetzen. Es war ein Prozess (und ist es noch), der auch immer wieder Niederlagen für mich bereit hielt. Aber es war ein neuer und sehr bereichernder Weg, den ich auf keinen Fall missen möchte.

Unsere Kinder bieten uns die kostbare Chance, herauszufinden, wer WIR wirklich sind, was UNS wichtig ist, woran WIR glauben, wofür WIR stehen. Kinder geben sich nicht damit zufrieden, wenn wir eine Elternrolle „spielen“, wenn wir glauben, dass man so handeln „müsse“, dass sich das so gehört, … . Kinder suchen immer die wirkliche Person in uns, den MENSCHEN in unserer „Rolle“ als Mutter oder Vater. Und sobald sie entdecken, dass sich unser „Gesagtes“ nicht mit unseren Taten deckt, dann decken sie uns „erbarmungslos“ auf. Das ist für viele Erwachsene eine wirkliche Herausforderung, denn die meisten von uns wurden in einem Hierarchiesystem erzogen, in dem Kinder nicht viel zu sagen oder zu entscheiden hatten.

Eine Chance für Eltern gemeinsam mit ihren Kindern zu wachsen

Eine Beziehung zu unseren Kindern zu entwickeln heißt, sich täglich „auf die Matte“ zu begeben und zu schauen, was man lernen darf. In meinem Vortrag „Pubertät – Eine Chance für Eltern gemeinsam mit ihren Kindern zu wachsen“ geht es hauptsächlich um einen Perspektivenwechsel im Blick auf das Verhalten unserer Kinder. Wenn ich einem Heranwachsenden zugestehe, dass er manchmal auch „respektlos“, frech sein kann, über das Ziel hinausschießen, eigene, neue Erfahrungen machen darf, … dann ist es für  Eltern oft einfacher, dieses Verhalten zu akzeptieren, denn Jugendliche handeln nur sehr selten GEGEN ihre Eltern, sondern meist FÜR sich. Sie müssen ihre eigenen Erfahrungen machen dürfen, sie müssen Fehler machen und Fehlentscheidungen treffen dürfen. Das gehört zum Leben und besonders zum Erwachsenwerden dazu.

Wenn ich mir im Umgang mit Jugendlichen vor Augen führe, dass diese ständig einen Spagat machen müssen, zwischen dem, was ihre Eltern fordern, und dem, was sie zum Heranwachsen brauchen, dann bin ich als Elternteil vielleicht verständnisvoller im Festlegen meiner Regeln und binde den Jugendlichen in meine Entscheidungen mit ein, ohne zu sagen: So ist es und Schluss. Was nicht heißt, dass dieser Satz nicht manchmal auch dazu gehört. Jugendliche brauchen die Reibung mit den Eltern. Aber die Verantwortung, die Führung liegt dabei bei den Eltern. Sie sind für die Qualität der Beziehung zuständig. Denn als Erwachsene muss ich mir die Zeit nehmen, um mir klar zu werden, was ICH als Mutter oder Vater wirklich will, welches Gesprächsklima in meiner Familie herrschen soll. Ist das MEINE Meinung oder handle ich so, weil ich glaube, dass das von mir erwartet wird? Das herauszufinden, sich als Menschen selbst besser kennenzulernen, das ist für mich die Chance für Eltern gemeinsam mit ihren Kindern zu wachsen.

Von Selbstzweifel getrieben

Sehr gut kenne ich dabei das Gefühl, wieder und wieder Fehler zu machen, obwohl ich es doch besser weiß. Über viele Jahre habe ich mich oft selbst dafür verurteilt, dass ich die Dinge, die ich für wichtig und richtig erkannt hatte, noch immer nicht umsetzen konnte, obwohl ich mir wirklich Mühe gab und auch professionelle Hilfe in Anspruch genommen hatte, um die Themen meiner eigenen Erziehung zu lösen. Nicht selten fühlte ich mich als Versager-Mutter. Die innere Richterin in mir war oft unbarmherzig:
„Jetzt kannst du es immer noch nicht.“
„Gratulation, schon wieder voll versagt.“

Die Liste meiner Selbstvorwürfe ließe sich fortführen. Doch dann begegnete ich binnen kurzer Zeit zwei Menschen, die zur richtigen Zeit die richtigen Worte für mich hatten, damit ich die innere Richterin in mir besänftigen konnte.

Eine Freundin, der ich meine Selbstzweifel geklagt hatte, meinte: „Es gibt kaum etwas Wichtigeres für Kinder als Mütter, die dazu bereit sind, sich zu entwickeln und dazuzulernen. Und dazu gehört es auch, immer wieder Fehler zu machen. Entschuldige dich dann bei deinem Kind, erkläre die Situation, frage, wie es ihm geht und bitte es um Unterstützung und Verzeihung. So weiß dein Kind, dass es auch selbst Fehler machen darf, und dass es eine Mutter hat, die bereit ist, die Verantwortung für ihr Fehlverhalten zu übernehmen. Das ist das größte Geschenk, das du deinem Kind machen kannst.“ Zur Unterstützung meines Prozesses gab sie mir dann noch die Affirmation „Ich bin gut so, wie ich bin.“ auf den Weg. Diesen schlichten Satz habe ich dann jedes Mal, wenn ich wieder schlecht über mich gedacht oder gesprochen habe, ergänzt, bis er zum Mantra unserer Familie wurde. Eine Zeit lang war es nur ein SATZ, dessen Inhalt ich noch nicht spüren konnte, aber nach einiger Zeit, nach dem Lesen vieler Bücher und vielen Coaching-Gesprächen, habe ich begriffen UND auch gespürt, dass ich wirklich gut bin, so wie ich gerade bin. Entwicklung herzlich willkommen.

„Was wäre, wenn es da draußen jemanden gäbe, der will, dass ich genauso bin, wie ich gerade bin?“ hat Veit in einem seiner Tagesimpulse unlängst gefragt. Das hat in mir ein großes Lächeln ausgelöst.

Eltern müssen nicht perfekt sein. Es reicht, wenn sie gut genug sind

Die zweite Person, die mich auf meinem Weg zu mehr Barmherzigkeit mit mir selbst unterstützte, war der dänische Familientherapeut Jesper Juul, dessen Bücher ich verschlungen hatte, und die mir ein ständiger Begleiter waren. Er sagt: „Eltern müssen nicht perfekt sein. Es reicht, wenn sie gut genug sind.“ Stellt euch doch einmal vor, welche Bürde wir unseren Kindern auferlegen würden, wenn WIR als Eltern perfekt wären. Unsere Kinder würden womöglich an uns verzweifeln, wenn sie unsere Perfektion nachahmen müssten. Die Welt ist nicht perfekt, Eltern sind nicht perfekt. Wir sind, wie wir sind mit all unseren Ecken und Kanten, und die Toleranz, die wir für unsere Mitmenschen aufbringen, die dürfen wir uns auch gerne selber schenken. Daher lade ich alle Eltern, die wieder einmal das Gefühl haben, bei ihren Kindern zu versagen, ein: „Seid geduldig und liebevoll mit euch. WIR ALLE sind auf einem Weg. Geht ihn gemeinsam mit euren Kindern und sagt ihnen manchmal: Es tut mir leid. Da habe ich wohl falsch reagiert. Bitte verzeih mir. Ich werde weiter an mir arbeiten.“ Dann können sie unsere Liebe spüren.

Ich freue mich auf eure Meinungen und Kommentare.

Herzlichst

Ines

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