Für Eltern ist die Pubertät eine Art Abschied von ihrem Kind

Für Eltern ist die Pubertät eine Art Abschied von ihrem Kind. Es ist eine sehr emotionale Zeit, und ich finde, als solche darf sie von den Erwachsenen auch empfunden werden, denn sie beraubt Eltern auch ihrer Sonderstellung. Sie sind nun nicht mehr das „Ein und Alles“ und die „Helden“, die nicht hinterfragt werden, für ihre Kinder, sondern höchst normale, fehlbare Mitmenschen. Und es ist eine emotionale Herausforderung, dass Eltern lernen, damit umzugehen.

Die wesentlichen Veränderungen lassen sich in sieben Punkten zusammenfassen:

1. Abschied von der Kindesliebe

Das Kind, das vielleicht gerade noch auf dem Schoß der Eltern gesessen ist, das mit ihnen gekuschelt hat, das seinen Papa oder seine Mama vielleicht sogar heiraten wollte, zieht sich zurück, sperrt sich ins Badezimmer ein und will von den Eltern plötzlich in Ruhe gelassen werden. Diese natürliche Loslösung ist eine für Eltern normalerweise eher schmerzliche Phase, aber dabei sollten die Erwachsenen darauf achten, dass sie ihre Ängste und ihre Traurigkeit mit Erwachsenen teilen und nicht auf die Jugendlichen übertragen. Denn wenn Jugendlichen die Verantwortung für die Gefühle der Eltern übertragen wird, dann kann das ihre gesunde Entwicklung beeinträchtigen.

2. Loslassen als Abgabe von Kontrolle und damit verbundene Ängste

„Eltern durchlaufen während der Pubertät ihrer Kinder ebenfalls eine Art pubertäre Krise. Sie müssen einige Allmachtsfantasien aufgeben. Insbesondere sich zu der Einsicht durchzuringen, dass sie das Leben ihres Kindes nicht länger vollständig regulieren können. Ständige Disziplinierungsmaßnahmen und Strafandrohungen sowie permanente Kontrolle hemmen die kaum begonnene Selbstständigkeit, machen es dem Kind schwerer als nötig, seine Individualität zu entdecken. Kurzum, sie verlängern das pubertäre Drama ins Unendliche. Und dagegen wehren sich die Kinder. Zu Recht. … Ob Eltern es mögen oder nicht, sie müssen akzeptieren, dass ihr Kind ihnen entwächst, dass es sein eigenes Schicksal hat, und dass sie ihm dieses nicht ersparen können. Dass seine Siege nicht ihre Siege und seine Niederlagen nicht ihre Niederlagen sind. In all der elterlichen Sorge und Meckerei steckt nämlich, ganz ähnlich wie in der Unzufriedenheit des Nachwuchses, ein gehöriges Stück Angst vor dem Verlust der Bindung.“ (Wolfgang Bergmann)

„Loslassen hat für Eltern eine stark emotionale Seite. Es nicht einfach, zu akzeptieren, dass die Beziehung zum Jugendlichen für einige Jahre den Charakter einer Einbahnstraße bekommt: Wenn es ihm gut geht, hören sie nichts von ihm und sehen ihn kaum. Wenn er in Schwierigkeiten gerät und nicht mehr weiter weiß, dann landet er bei den Eltern. Dem Jugendlichen die Tür jederzeit offen zu halten ist eine undankbare, aber enorm wichtige Aufgabe der Eltern. Wenn sich der Jugendliche darauf verlassen kann, wird er seinen Eltern – auch noch im Rückblick – sehr dankbar sein.“ (Largo Czernin)

3. Erziehen geht nicht mehr

Während jüngere Kinder Eltern brauchen, die mehr Erfahrung haben und mehr von der Welt wissen, als sie selber, und die bereit sind, die Führungsrolle in der Beziehung zum Kind zu übernehmen, wehren sich Jugendliche normalerweise massiv gegen Eltern, die ihnen sagen: „Wir wissen, was du brauchst und was gut für dich ist. Wir wollen nur dein Bestes.“ Generell gilt, dass niemand wissen kann, was für einen anderen das Beste ist. Ich kann mich lediglich mit meinem Kind gemeinsam auf den Weg machen, um herauszufinden, was es braucht. 

Denn in der Pubertät brauchen Jugendliche elterliche Begleitung in einer anderen Form. Sie brauchen Eltern als „Sparrings-Partner“, der dem Teenager ein Maximum an Widerstand bietet; d.h. Eltern sollten reagieren und ihre Meinungen und Überzeugungen zum Ausdruck bringen, jedoch nicht mit der erzieherischen Absicht, die Jugendlichen ändern und formen zu wollen. 

4. Werte der Eltern kommen auf den Prüfstand

Junge Menschen haben viele Jahre die Werte ihrer Eltern kennengelernt. Sie sind ihnen wie ein Computerprogramm auf der Festplatte „eingebrannt“. Nun ist es an der Zeit, dass sie diese Werte überprüfen, um sie in ihr eigenes Leben einzubinden oder Alternativen zu suchen. Das ist ein notwendiger Prozess, um ein verantwortliches erwachsenes Individuum zu werden. Daher sollten Eltern versuchen, dieses „Hinterfragen“ nicht persönlich zu nehmen.


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5. Kommunikation wird schwieriger

Viele Eltern leiden darunter, dass die Kommunikation mit ihren jugendlichen Kindern kaum mehr stattfindet. Traditionell besteht verbale Kommunikation zwischen Eltern und Kindern darin, dass Eltern Fragen stellen bzw. ihre Kinder „interviewen“, die sich ihrerseits bis zu einem gewissen Alter vielleicht um sinnvolle Antworten bemühen. 

Spätestens in der Pubertät stellen die Jugendlichen dieses Bemühen ein. Daher ist es für Eltern, die in Kontakt mit ihren Kindern bleiben wollen, unumgänglich, eine neue Art der Kommunikation zu schaffen: den Dialog. Denn wenn Fragen immer nur von einer Person kommen, kann derjenige, der antworten soll, nur schwer entscheiden, ob die Fragen der Eltern Ausdruck von Interesse, Fürsorge und Neugier sind, oder ob sie nur der Kontrolle dienen. Und sehr oft empfinden Jugendliche ihre Eltern als „Polizisten“, die nur an Kontrolle interessiert sind und wenig wirkliches Interesse an der Gefühls- und Lebenswelt der jugendlichen Erwachsenen haben. 

6. „Rückzahlungszeit“

Mit diesem Begriff ist gemeint, dass besonders während der Pubertät Jugendliche unser Verhalten spiegeln. Eltern werden in dieser Zeit das Verhalten zurückerhalten, das sie in den Jahren zuvor vorgelebt haben. Wenn Kinder kritisiert oder angebrüllt wurden, wird zumindest ein Teil von ihnen die Eltern in dieser Zeit verstärkt kritisieren und anbrüllen. Der andere Teil wird Kritik und Aggression manchmal nach innen kehren und selbst-destruktiv werden. 

Für Eltern ist dies eine bittere Erfahrung, da sie sich ihres Verhaltens oft nicht bewusst sind, bzw. wenn sie sich dessen bewusst werden, dann kann es sehr schmerzlich sein, den eigenen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Allerdings bietet dieses Spiegeln der Jugendlichen eine Chance für die Eltern sich selbst und ihr Handlungsweisen zu hinterfragen und daraus zu lernen und sich weiter zu entwickeln.

7. Neuorientierung des eigenen Lebens

Viele Eltern glauben, dass das Leben mit Teenagern deshalb so schwierig ist, weil diese pubertieren. Allerdings befinden sich auch viele Eltern zu dieser Zeit selbst in einer Umbruchphase, ohne sich dessen bewusst zu sein. Denn die Entwicklung von der Familie, die sich langsam nun wieder auf zwei Erwachsene (oder bei Alleinerziehern auf eine Person) reduziert, ist emotional gesehen nicht immer einfach. Eltern hinterfragen zu dieser Zeit oft ihr eigenes Leben, ihre Partnerschaft, den Beruf und all das, was sie in ihrem eigenen Leben erreicht haben.

Jugendliche wollen Eltern, die für sich selbst sorgen

Sie wollen Eltern die Verantwortung für sich selbst übernehmen. Selbstaufopferung wird von manchen Heranwachsenden als Unter-Druck-Setzen empfunden. Jugendliche haben im Normalfall kein Problem damit, dass Eltern sich auch um ihr eigenes Wohl kümmern. Denn dann brauchen sich die Jugendlichen nicht für die Eltern verantwortlich fühlen.

Besonders für Mütter, die sich sehr über ihre Mutterrolle definiert haben, ist diese Phase ihrer Kinder ein schwerwiegender Einschnitt in ihr eigenes Leben. Sie müssen sich von dieser Rolle verabschieden und ihre Aufmerksamkeit nun auf ihren Partner und ihr eigenes Leben richten. Und das ist für Erwachsene ein schmerzlicher, aber notwendiger Prozess.

„Das Beste, das Eltern für ihre Kinder tun können, ist immer noch, sich um das eigene Leben und die eigenen Beziehungen zu kümmern.“ (Jesper Juul)

Die Pubertät ist somit auch eine riesige Chance für Eltern, sich mit Hilfe der Jugendlichen (neu) zu orientieren, eine Bestandsaufnahme über das eigene Leben zu machen und Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen. Damit sind sie gleichzeitig auch ein großes Vorbild für ihre Kinder. Und wenn es Eltern gelingt, ihre eigenen Themen zu lösen, dann können sich die Jugendlichen leichter darauf konzentrieren herauszufinden, wer sie selbst sind, ohne eine Verantwortung für ihre Eltern übernehmen zu müssen.

Ich freue mich wieder über eure Kommentare und Fragen.

Eure Ines

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