Warum Jugendliche unser Vertrauen und keine Erziehung mehr brauchen
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Oder ist es nicht doch umgekehrt? Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser!!!!
In diesem Artikel lade ich dich zum Perspektivenwechsel rund um das Thema Vertrauen und Jugendliche ein.
Kennst du folgende Sätze? Und hast du sie vielleicht sogar selbst in deiner Kindheit gehört und womöglich auch schon zu deinem eigenen Kind gesagt?
„Ich muss dir vertrauen können.“
„Ich kann dir leider nicht vertrauen.“
„Du hast mein Vertrauen missbraucht.“
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Kommen dir diese oder ähnliche Sätze bekannt vor?
Viele Jugendliche, die ich in den letzten 35 Jahren begleiten durfte, haben mir regelmäßig erzählt, dass sie sowohl in ihrer Familie, aber auch im Kontext Schule immer wieder damit konfrontiert waren, dass sie sich das Vertrauen der Erwachsenen verdienen müssten.
Und ich bin davon überzeugt, dass die Erwachsenen, die solche Sätze sagen, sehr wahrscheinlich in ihrer eigenen Kindheit damit konfrontiert waren und sie selbst von ihren Eltern oder anderen Bezugspersonen gehört haben. Für mich trifft das auf jeden Fall zu.
Doch diese Sätze haben nichts mit dem Vertrauen zu tun, das Menschen im Allgemeinen und Jugendliche im Besonderen brauchen.
Vertrauen ist nämlich nichts, was sich ein anderer verdienen müsste. Es ist meine Entscheidung, ob ich jemand anderem vertrauen möchte oder eben auch nicht.
Denn das Vertrauen, das heute leider immer noch so oft eingefordert wird, bedeutet eigentlich:
„Wenn du das tust, was wir uns von dir erwarten, dann können wir dir vertrauen!“
Doch das ist kein Vertrauen, sondern Gehorsam. Und wir dürfen uns als Erwachsene die Frage stellen, ob wir wirklich gehorsame Kinder wollen??
Unsere Kinder vertrauen uns Erwachsenen nämlich von Anfang an bedingungslos. Sie kennen und können es gar nicht anders, da sie ja von klein auf von uns abhängig, auf uns angewiesen sind. Und auch wenn sie größer werden, dann vertrauen sie uns oft sogar in dem Ausmaß, dass sie ihre eigene Integrität verletzen, weil sie darauf vertrauen, dass wir ihnen nicht schaden wollen. Immer wieder verzeihen sie uns, und es passiert sehr selten, dass Kinder ihren Eltern das Vertrauen entziehen. Da müssen wir uns schon wirklich sehr anstrengen und über viele Jahre uns grandios „daneben“ benehmen, bis Kinder wirklich den Kontakt abbrechen.
Vertrauen ist bedingungslos
Vertrauen ist eine Haltung, für die ich mich als Elternteil entscheiden kann.
Bei kleinen Kindern z.B. darf ich darauf vertrauen lernen, dass mein Kind weiß,
… wann es Hunger hat,
… wann es müde ist,
… wann es nicht mehr spielen oder kuscheln will,
… wann es friert oder ihm zu heiß ist,
… wann es Zeit ist, gehen zu lernen oder sauber zu werden.
Die Liste ließe sich noch lange fortführen.
Bei Kindern bis zum Schuleintritt fällt das vielen Eltern noch relativ leicht. Ab dem Schuleintritt wird es herausfordernder, und spätestens in der Pubertät stoßen Eltern immer wieder an ihre Grenzen. Denn dann beginnen sich die Jugendlichen von ihren Eltern schrittweise zu lösen. Sie werden selbstständiger und fordern ihre Selbstständigkeit auch (oft sehr vehement) ein. Sie stellen die Meinungen ihrer Eltern in Frage, hinterfragen deren Werte und beginnen sich abzunabeln und die Meinungen der Freunde und Freundinnen vor die der Eltern zu stellen. Und das fühlt sich für viele Eltern wie ein persönlicher Angriff an.
Doch das ist es nicht. Denn Jugendliche handeln nicht gegen ihre Eltern, sondern FÜR sich.
Und das ist beim Erwachsenwerden ein ungemein wichtiger Prozess.
Das Vertrauen, das unsere Jugendlichen dabei brauchen, ist eine Haltung, die ausdrückt, dass ich darauf vertraue, dass mein Kind das Beste geben wird, was in ihm angelegt ist, um die Person zu werden, die sie werden möchte. Und ich darf als Mutter/Vater darauf vertrauen, dass mein Kind auf diesem Weg viele Fehler machen wird.
Es wird vielleicht …
- zu spät zu lernen beginnen und schlechte Noten schreiben.
- Freund*innen wählen, die du nicht gut findest.
- später nach Hause kommen, als ihr vereinbart habt.
- heimlich das Handy nehmen, obwohl du es verboten hast.
- …
Das löst in Eltern oft Frust, Wut, Sorge, …. aus. Und viele Eltern wünschen sich, dass ihr Kind sich einfach so verhält, wie sie es gerne hätten. Das ist sehr verständlich.
Doch Teenager müssen SELBST herausfinden, wer sie sind, was sie können, wo ihre Stärken/Schwächen liegen, welcher Mensch sie werden wollen, …
Sie müssen Fehler machen dürfen, um daraus lernen zu können. Sie werden Konsequenzen für ihr Verhalten anderen gegenüber spüren müssen. Sie werden manchmal auf die Nase fallen und sich weh tun.
Und dann brauchen sie Eltern, die für sie da sind, ihnen empathisch zuhören, sie trösten, sie in den Arm nehmen und ihnen sagen:
„Wir sind für dich da.“
„Boahh, das hört sich heftig an.“
„ Brauchst du unsere Unterstützung? Wenn ja, was brauchst du von uns?“
„Wir vertrauen darauf, dass du eine Lösung für dein Problem finden wirst. Wenn du unsere Unterstützung brauchst, dann sind wir für dich da.“
Kinder müssen eigene Erfahrungen machen
Wir dürfen darauf vertrauen, dass Jugendliche beim Erwachsenwerden auch viele Erfahrungen machen „dürfen“, die wir ihnen gerne ersparen würden. Doch das ist nicht möglich. Erfahrungen gehören zum Lernen und Erwachsenwerden dazu.
Viele Eltern wollen ihre Kinder – in bester Absicht – vor negativen Erfahrungen mit Lehrer*innen oder Mitschüler*innen etc. schützen. Dann sprechen sie entweder mit der Lehrerin oder dem Lehrer, den Mitschüler*innen und wollen das Problem für ihr Kind lösen.
Doch dabei übersehen sie einen sehr wichtigen Punkt: denn immer dann, wenn ich etwas für mein Kind übernehme oder löse, signalisiere ich ihm:
„Du kannst das nicht.“
„Du schaffst das nicht“
„Ich vertraue dir nicht, dass du das Problem (vielleicht mit meiner Unterstützung) lösen kannst.“
Jugendliche brauchen aber dieses Vertrauen, damit sie einen starken Selbstwert und gesundes Selbstvertrauen entwickeln können.
Und das geht nur über eigene Erfahrungen, die oftmals auch wehtun werden, und mit Hilfe des bedingungslosen Vertrauens ihrer Eltern.
Eltern glauben oft, dass sie ihrem Kind nur vertrauen können, wenn es das tut, was sie wollen und sie entschieden haben, weil sie zu wissen glauben, was gut für ihr Kind ist. Doch das hat – wie oben schon erwähnt – nichts mit Vertrauen zu tun.
Wie kann ich als Mutter oder Vater denn wissen, was für mein Kind das Beste ist? egal, wie sehr ich mir das wünsche und wie gut meine Absicht ist.
Kein Mensch kann nämlich wissen, was für einen anderen das Beste ist. Und in der „psychospirituellen Szene“ gibt es einen geflügelten Satz, der da lautet:
„Wenn jemand dein Bestes will, dann nimm deine Beine in die Hand und renn davon, so schnell du kannst!“
Vertrauen ist Übungssache
Jeder Mensch sollte selbst herausfinden dürfen, was ihm guttut, welchen Weg er gehen will.
Dabei sollte es auch erlaubt sein, Fehler zu machen. Darauf sollten Eltern vertrauen.
Und wenn sie es nicht aushalten, dann hilft es oft, sich Unterstützung zu erlauben, um mit dieser Hilflosigkeit umgehen zu lernen.
Denn Vertrauen kann geübt werden.
Als mein Sohn für ein Jahr in Indien sein Sozialjahr in einem Straßenkinder-Projekt einer riesigen Stadt absolvierte, da wurde ich immer wieder von Angst und Sorge gepackt.
Doch ich habe in Coachingstunden für mich ein Mantra entdeckt, wie ich diese Ängste, nachdem ich sie wahrgenommen hatte, loslassen konnte. Und dafür habe ich mich jedes Mal wieder aufs Neue entschieden, nachdem ich mir klargemacht hatte, dass meine Sorgen NIEMANDEM helfen, sondern nur mein Leben beschweren und meine Kinder verunsichern.
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Sorgen von Eltern können für die Jugendlichen nämlich auch eine massive Belastung darstellen.
Eine Freundin erzählte mir, dass sie sich in der Pubertät oft sehr belastet fühlte, wenn sie merkte, dass es ihren Eltern ihretwegen schlecht ging. Sie hatte oft das Gefühl, dass sie dafür verantwortlich ist, wenn es ihren Eltern schlecht geht, weil sie selbst gerade nicht glücklich war, weil sie Probleme mit ihren Freundinnen oder Liebeskummer hatte, weil sie in der Schule gerade nicht die Noten bekam, die sich ihre Eltern wünschten. „Ich habe oft mehr Energie damit vergeudet, dafür zu sorgen, dass meine Eltern wieder mit mir zufrieden sind, als dafür, herauszufinden, wer ICH bin, was ICH will und was ICH brauche. Und wenn es mir nicht gelungen ist, dann habe ich mich wieder schlecht gefühlt, weil ich sie enttäuscht hatte.“
Der Schlüssel zum Selbstwert
Daher lade ich dich auf diesen Perspektivenwechsel ein:
Kinder sind nicht auf dieser Welt, damit sie ihre Eltern glücklich machen oder nicht enttäuschen. Es ist unsere Verantwortung als Eltern, unsere Kinder auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden so zu unterstützen, dass es ihnen in einem Prozess gelingt, zu psychisch gesunden, glücklichen Erwachsenen heranzuwachsen, die sich selbst vertrauen, wissen wer sie sind, ein gutes Selbstgefühl, Selbstvertrauen und einen gesunden Selbstwert haben. Und um all das auf einem guten Weg lernen zu können, brauchen sie vor allem das bedingungslose Vertrauen ihrer Eltern.
Wie siehst du das?
Ich freue mich auf deine Kommentare und Fragen.
Herzliche Grüße
Deine
Ines Berger
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