Warum wir die Gefühle unserer Kinder zulassen sollten
Vorgeschichte: Was ist passiert?
Eva (16) sitzt völlig aufgelöst in ihrem Zimmer und versucht zu verstehen, was gerade passiert ist. Noch vor zehn Minuten saß sie im Kreise ihrer Familie beim Essen. Sie wollte ihren Eltern erzählen, was heute in der Schule passiert war. Denn sie war so wütend, frustriert und gleichzeitig enttäuscht und traurig, da sie vor der ganzen Klasse beschämt und bloßgestellt worden war. Sie wollte bei ihren Eltern Dampf ablassen und hatte ihnen unter Tränen erzählt, dass ihre Lehrerin Teile ihres Aufsatzes vor der ganzen Klasse vorgelesen hatte, und zwar als Beispiel dafür, wie es NICHT geht. Die ganze Klasse hatte gelacht. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Als sie ihre Geschichte sehr emotional beendet hatte, da haben ihre Eltern nur gemeint, sie solle sich doch nicht so anstellen, das machten Lehrer halt, das wäre doch nicht so schlimm, so was passiert eben, sie sollte das nicht so eng sehen, das passiert jedem einmal, da müsse sie darüberstehen. Blablabla.
Eva war immer lauter geworden. Sie hatte versucht zu erklären, wie sie sich gefühlt hatte, wie sie sich jetzt fühlt. Sie hätte sich gewünscht, dass ihre Eltern auf ihrer Seite stehen, sie verstehen. Das hatte sie ihnen auch nach einer Zeit an den Kopf geworfen. Darauf war die Situation eskaliert. Ihr Vater hatte sie schließlich angeschrien: „Hör auf zu schreien! So sprichst du nicht mit uns! Geh auf dein Zimmer und wenn du normal geworden bist, kannst du wieder rauskommen!“
Und da sitzt sie nun und weiß nicht wohin mit ihren Gefühlen. Die Tränen wollen nicht aufhören zu fließen. Sie wünscht sich so sehr, dass ihre Mutter oder ihr Vater zu ihr ins Zimmer kommen, sie in den Arm nehmen und trösten. Sie möchte so gerne von ihnen verstanden werden. Doch das wird nicht passieren. Das weiß sie. Sie muss sich wieder beruhigen. Dabei spürt sie so viel Wut, Traurigkeit, Frust. Aber da ist auch wieder dieses andere Gefühl. Da ist auch wieder der Zweifel, ob mit ihr alles in Ordnung ist. Vielleicht sind ja ihre Gefühle falsch. Vielleicht ist ja doch sie selbst falsch. Denn immerhin sind ihre Eltern ja die Erwachsenen, die ihr immer wieder sagen, dass diese und auch andere Situationen in ihrem Leben kein Grund sind, sich so aufzuregen.
Sie liebt ihre Eltern und sie vertraut ihnen. „Was, wenn mit MIR wirklich was nicht stimmt?“, denkt sich Eva unter Tränen. Immer wieder wird sie von ihren Gefühlen übermannt. „Ich muss mich zusammenreißen!“, denkt sie, schluckt ihre Tränen hinunter, atmet dreimal tief durch und geht wieder lächelnd zu ihren Eltern in die Küche und entschuldigt sich für ihren Gefühlsausbruch. „Na siehst du,“ sagt ihr Vater, „ich wusste ja, dass es nicht so schlimm ist. Gut, dass du dich wieder eingekriegt hast. Du warst ganz schön hysterisch!“
Noch immer trauriger Alltag für viele Kinder und Jugendliche
Vielleicht erlebst ja auch du immer wieder, dass Erwachsene den Kindern ihre Gefühle abzusprechen versuchen. Sie erklären ihnen, dass ihre Gefühle für manche Situationen nicht angemessen sind. Die Erwachsenen entscheiden, ob sie wütend, traurig, enttäuscht etc. sein dürfen, ob ihre Gefühle gerade richtig sind. Durch diese Bewertungen werden Menschen zu Objekten gemacht.
Und wenn dies geschieht, dann werden im Gehirn dieselben Regionen aktiviert, die auch aktiviert werden, wenn ein Mensch physischen Schmerz fühlt.
Als ich das erste Mal von diesen Erkenntnissen der Neurobiologie gehört hatte, konnte ich mir plötzlich schlagartig erklären, warum viele Menschen, und auch ich selbst für einen Außenstehenden, manchmal scheinbar völlig überreagieren.
Gefühle zeigen ist immer richtig
Bewertungen und nicht selten Abwertungen der Erwachsenen sind in vielen Familien häufig der Auslöser für eskalierende Streits, da Menschen, die sich nicht verstanden fühlen, beginnen, sich und ihre Gefühlswelt zu rechtfertigen.
Sie fühlen sich gezwungen zu argumentieren. Sie wollen, so wie Eva in der oben beschriebenen Szene, gesehen werden. Denn erst, wenn ich mich gesehen und in meinem Bedürfnis ernst genommen fühle, dann kann ich mich entspannen und beginnen, nach Lösungen für mein Problem zu suchen. Wenn Eltern es schaffen, die Gefühle ihrer Kinder wahr zu nehmen und anzuerkennen, dann werden nicht nur viele (eigentlich unnötige) Streits vermieden, sondern vor allem bekommt das Kind dadurch immer wieder die Bestätigung: „Mit mir ist alles in Ordnung! Mein Gefühl ist richtig! Ich bin gut, wie ich bin!“
Ich freue mich wieder sehr auf eure Fragen und Kommentare.
Herzliche Grüße,
Eure Ines
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