Heute darf ich dir zwei weitere Leitfragen (nicht nur) zum Thema Schule mitgeben
1) Bin ich bereit, meinem Kind zu vertrauen?
2) Wie geht es mir, wenn mein Kind NEIN sagt?
Bei dieser Frage geht es nicht um die altbekannte Art von Vertrauen, die Eltern seit Generationen von ihren Kindern einfordern.
„Du musst mir beweisen, dass ich dir vertrauen kann.“
„Du hast mein Vertrauen missbraucht.“
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
….
Diese Art von Vertrauen ist in meiner Frage nicht gemeint. Denn dieses „Vertrauen“ verlangt von den Kindern und Jugendlichen, dass sie das tun, was die Eltern von ihnen erwarten. Es verlangt Gehorsam. Dabei gibt es für Jugendliche wenig bis keinen Spielraum, eigene (manchmal auch unangenehme) Erfahrungen machen zu dürfen. Nur wenn sie das tun, so handeln, wie wir als Erwachsene das als richtig empfinden, dann haben sie unser Vertrauen verdient.
Will ich wirklich ein gehorsames Kind?
Dabei sollten wir uns fragen: „Will ich wirklich ein gehorsames Kind?“ Es braucht ein Innehalten der Erwachsenen, um sich zu fragen,
„Was wünsche ich mir denn, was mein Kind als Erwachsener können soll? Welche Fähigkeiten soll es denn entwickeln? …“
Und ich behaupte, dass es heutzutage nicht mehr viele Eltern gibt, die sich wünschen, dass ihr Kind als Erwachsener ein „Pflichterfüller“ ist, der tut, was andere ihm sagen. Vielmehr wünschen sich die meisten Eltern, dass ihre Kinder lernen, für ihre Bedürfnisse einzutreten, gut für sich zu sorgen, ihre Grenzen zu setzen und sich dafür einzusetzen, was ihnen wichtig ist, damit sie empathische, glückliche und psychisch gesunde Erwachsene werden, die einen Beruf haben, der ihnen Freude macht und sie auch finanziell unabhängig gut leben lässt.
Doch was Eltern dabei oft übersehen, ist, dass diese wichtigen Eigenschaften nicht einfach plötzlich da sind. Nein, sie gehören entwickelt, gelernt und unzählige Male eingeübt, damit sie im Gehirn als Gewohnheit verankert werden können. Und ein wichtiges Übungsfeld ist dafür u.a. die Familie. Dort machen die Kinder in einem geschützten Umfeld (quasi mit Sicherheitsnetz) Erfahrungen, die sie im späteren Leben brauchen werden.
Nein zu sagen und für sich einzustehen, ist eine Übungssache
Wenn ich also beispielsweise von meiner Tochter verlange, dass sie das tut, was ich als Mutter oder Vater (aus welchen Gründen auch immer) möchte, dann sollte ich mir bewusstmachen, dass mein Kind sehr wenig Chancen hat, ein NEIN zu üben. Aber ich bin mir sicher, dass sich wahrscheinlich alle Eltern wünschen, dass ihre Tochter/ihr Sohn im Freundeskreis NEIN sagt, wenn es darum geht, Verbotenes oder Gefährliches zu tun. Allen Eltern dürfte es wichtig sein, dass ihre Tochter/ihr Sohn Sex erst dann zulässt, wenn SIE/ER dafür bereit ist und nicht dann, wenn es ihr/e Freund*in sagt. Und all diese von Eltern erwünschten NEINs gehören geübt.
Und was hat das Alles mit Vertrauen zu tun.
Das Vertrauen, von dem ich spreche, ist das Vertrauen, das ich in mein Kind habe. Dieses Vertrauen ist eine Entscheidung, die ich treffe. Es ist eine Haltung. Es ist bedingungslos und mein Kind muss es sich nicht verdienen.
Es ist die Art von Vertrauen, die es mir ermöglicht, mein Kind Schritt für Schritt loszulassen und es dabei zu unterstützen und zu begleiten, dass es SEINEN Weg gehen wird, der es wachsen lässt, der es spüren lässt, dass es selbstwirksam sein kann (im Gegensatz zur Opferhaltung: „Immer sind die Anderen schuld. Ich bin vom Wohlwollen Anderer abhängig.“), dass es seine eigenen Grenzen kennenlernen und auch setzen darf, dass es sich auf sein Gefühl verlassen darf, dass es seine eigenen Fehler machen und aus ihnen lernen darf, dass es NEIN sagen darf.
Wie sieht dieses Vertrauen im Alltag aus?
Wie das konkret im Alltag aussehen kann, dafür möchte ich euch zwei Beispiele aus meiner persönlichen Erfahrung geben:
Als Mutter habe ich mich vor vielen Jahren dazu entschlossen, auszuhalten, dass mein Kind Konflikte mit Lehrern und Mitschülern hat und haben wird (so sehr ich ihm diese ersparen wollte). Ich habe erkannt, dass es für die persönliche Entwicklung meines Kindes wichtig ist, diese Konflikte selbst zu lösen. Dazu habe ich gelernt, dass es als ersten Schritt für mich „nur“ um das Wahrnehmen und das Annehmen der Gefühle meines Kindes geht:
„Magst du mir erzählen, wie es dir geht?“
„Wohh, du bist aber ganz schön traurig/wütend, …!“
Ich habe gelernt, mich in meinen Lösungsvorschlägen, die sofort in meinem Kopf waren und von denen ich gehofft habe, dass sie den Prozess für mein Kind beschleunigen, zurückzuhalten und lieber Fragen zu stellen:
„Was magst du jetzt tun?“
„Hast du eine Idee, wie du das lösen kannst?“
„Brauchst du meine Hilfe? Kann ich was tun?“
Jedes Mal, wenn es mir gelungen ist, meine überbordenden Muttergefühle, die mein Kind unbedingt beschützen und für es das Problem lösen wollten, anzuerkennen und mich dennoch wieder dafür zu entscheiden, meinem Kind zu vertrauen, dass es Lösungskompetenz entwickeln wird, dann hat sich mein Kind entspannt und selbst nach Lösungen gesucht, auf die ich oft gar nicht gekommen wäre.
Manchmal hat es auch mehr gebraucht und wir haben Pros und Contras gemeinsam besprochen und darüber diskutiert, was an Handlung denn gerade passen könnte. Manchmal hat es auch die „falschen“ Entscheidungen getroffen, und dann haben wir uns wieder zusammengesetzt und überlegt, was es denn jetzt zu tun gibt.
Mein zweites Beispiel kommt aus meiner Schulpraxis. Meine Klasse, in der ich Klassenvorständin war, hatte Probleme mit einer Klassenlehrerin. Sie waren der Meinung: „Die mag uns nicht, weil wir nicht gut genug sind. Die hat uns sogar aus dem Online-Kurs geschmissen, weil sie uns nicht mag.“
Da ich auch als (mittlerweile ehemalige) Lehrerin seit vielen Jahren die Haltung entwickelt habe, dass ich meinen Schüler*innen Problemlösungskompetenz zutraue, haben wir uns die Zeit genommen und gemeinsam überlegt, was zu tun sei. Mein Teil bei dieser Diskussion war die Leitung der Diskussion und das Einbringen meiner jahrelangen Erfahrung. Ich habe ihnen vom Phänomen der gefilterten Wahrnehmung unseres Gehirns erzählt, habe sie darauf hingewiesen, dass die Kollegin eine „Naturwissenschaftlerin“ ist, die wahrscheinlich Argumente braucht, habe sie gefragt, was sie sich denn von der Kollegin wünschen würden, und wir sind übereingekommen, dass sie sich überlegen werden, wie und wann sie mit ihr sprechen wollen. Ich habe noch nachgefragt, ob sie sich zutrauen, alleine mit der Kollegin sprechen zu wollen und sie haben entschieden, dass sie das schaffen und sich an mich wenden werden, wenn es nicht klappen sollte.
Das Ergebnis war auch für mich wieder verblüffend: die Kollegin war von den Argumenten der Schüler*innen sehr beeindruckt. Da gab es Fakten, die sie nicht gekannt hatte und der Online-Kurs hatte ein Serverproblem, daher hatten die Schüler*innen keinen Zugriff. Aber die wirklich wesentlichen Erfahrungen hatten meine Schüler*innen gemacht:
* Sie haben gelernt, dass nicht immer etwas so ist, wie es auf den ersten Blick scheint.
* Sie haben gespürt, dass auch eine erwachsene Lehrerin Argumenten zugänglich ist und ihr Verhalten ändern kann. („Die ist jetzt voll nett zu uns.“)
*Sie haben gelernt zu argumentieren, zuzuhören, im Team an der Erreichung eines gemeinsamen Ziels zu arbeiten.
* Sie haben Lösungskompetenz entwickelt und Selbstwirksamkeit erfahren.
Und der Tenor der Abschiedsbriefe meiner Schüler*innen an mich war:
„Sie haben uns immer zugetraut und uns vertraut. Daran sind wir gewachsen und manchmal auch über uns hinaus.“
Ich wünsche euch gutes Gelingen beim Hinterfragen, Entdecken und Üben.
Seid geduldig mit euch!
Was für unsere Kinder gilt, gilt auch für uns Eltern.
Alles Liebe
Ines
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