Heute lade ich dich ein, anhand zweier weiterer Fragen das Thema Schule zu hinterfragen.

1) Welche Gefühle verbinde ich mit Schule, wenn ich an meine eigene Zeit als Schüler*in zurückdenke?

Vielleicht mag diese Frage am Anfang ein wenig befremdlich sein, denn immerhin haben Eltern ihre eigene Schulzeit ja hinter sich. Und dennoch kann es helfen, sich Zeit zu nehmen und kurz zu reflektieren, was Schule für mich als Kind bzw. Jugendlicher bedeutet hat.

  • Bin ich gerne in die Schule gegangen?
  • War ich eine gute Schülerin?
  • Waren meinen Eltern Noten wichtig? Waren Noten für mich wichtig?
  • War Schule für mich ein Ort, an dem ich mich wohl fühlte oder habe ich dort eher unangenehme Erfahrungen gemacht?
  • Wurde ich bloßgestellt, beschämt, gedemütigt, klein gemacht, oder war es ein Ort, an dem ich mich entfalten konnte?
  • Gab es Lehrer*innen, die ich als Vorbilder in positiver Erinnerung habe?

Schule ist für viele Erwachsene noch immer negativ behaftet. Alle Erfahrungen, die wir dort gemacht haben, sind in uns gespeichert und werden oft durch die Schulerfahrungen unserer Kinder wieder getriggert.

Das bedeutet, dass die Gefahr besteht, dass ich die heutige Schulsituation meines Kindes mit meinen eigenen Schulerfahrungen vermische. Und wenn ich das tue, dann bin ich für mein Kind keine Unterstützung mehr im Hier und Jetzt, sondern falle emotional in mein vielleicht damals sehr verletztes Schüler-Ich.

In Schulen ist es beispielsweise gängige Praxis, Elternabende im Schulgebäude abzuhalten. Vor vielen Jahren hat mich einmal eine Mutter gebeten, ob wir diese Elternabende nicht an einem „neutralen“ Ort abhalten könnten. Auf meine Frage, warum ihr das wichtig sei, hat sie gemeint, jedes Mal, wenn sie nur das Schulhaus betritt, fühlt sie sich wieder als das ohnmächtige Kind, das in der Schule viele unangenehme Erfahrungen gemacht hat.

„Und dann kann ich, wenn ich wie früher in einem Klassenraum auf die Tafel schaue, für meine Tochter nicht als Mutter da sein, weil ich mich selbst wieder als Schülerin fühle, die jetzt eigentlich Unterstützung bräuchte, um mit ihren eigenen Emotionen klar zu kommen.“

Elternabende rufen manchmal sehr unangenehme Erinnerungen wach

Wenn Eltern auf Elternabenden auf den Stühlen ihrer Kinder sitzen, dann ruft das oft nicht nur Erinnerungen, sondern manchmal auch alte (vielleicht nicht gerade angenehme) Gefühle wach. Wenn der Lehrer meines Kindes die Art von Lehrer ist, der mir als Schülerin das Leben damals schwergemacht hat, dann werden wahrscheinlich meine eigenen Emotionen von damals geweckt. Und das erschwert konstruktive Gespräche und das Lösen von eventuellen Konflikten.

Daher lade ich alle Eltern ein, sich auch mit ihrer eigenen Schulgeschichte auseinanderzusetzen. Denn nur wenn ich mir meiner eigenen alten Schulthemen bewusst bin und bestenfalls mit meinen eigenen Gefühlen dazu im Reinen bin, dann kann ich mich aus einer wesentlich entspannteren Position den Schulthemen meines Kindes widmen.

2) Wie wichtig sind gute Noten für mich und was haben die Noten meines Kindes mit mir als Mutter/Vater zu tun?

Es braucht viel Ehrlichkeit von uns Erwachsenen, diese Frage zu beantworten und auch zu hinterfragen, was denn Noten wirklich über ein Kind, einen Jugendlichen oder auch über mich selbst aussagen. Als Schülerin und auch als Studentin waren mir gute Noten sehr wichtig, weil ich dadurch die Anerkennung meines Vaters zu bekommen erhoffte. Irgendwann einmal dachte ich dann, dass diese Noten auch wichtig für mich seien und mich ausmachten.

Als ich mich für meinen ersten Job bewarb, war ich sehr stolz auf meine tadellosen Zeugnisse. Diese wollte ich auch beim Bewerbungsgespräch meinem Schuldirektor zeigen. Doch der war in keiner Weise an meinen Zeugnissen interessiert. Wörtlich sagte er:

„Ich weiß, dass sie glauben, dass Noten wichtig sind. Doch sie sagen nichts über Sie als Menschen aus. Und da ich weiß, wie Noten oft zustande kommen, bin ich daran nicht interessiert. Ich interessiere mich für Sie als Person.“

Damals war ich sehr erbost über diese Aussage, weil ich mich für diese Noten wirklich oft angestrengt hatte. Aber im Laufe der Jahr(zehnte) habe ich als Lehrerin aber auch als Mutter sehr oft erlebt, dass Noten sehr viel an unseren Kindern anrichten können. Ich habe sehr oft zusehen müssen, wie sich Jugendliche angestrengt haben, um gute Noten zu schreiben, und dennoch hat es manchmal nicht gereicht. Und dann hat es ihnen wenig geholfen, wenn Lehrer im besten Fall sagten: „Das ist ja nicht so schlimm. Das sagt ja nichts über dich als Menschen aus.“ Oder die oft nicht hinterfragte Aussage von Lehrern: „Du hast einfach zu wenig gelernt.“ Oder der häufig von Eltern gehörte Satz: „Du warst einfach nur zu faul. Du hättest dich einfach mehr anstrengen müssen.“

Noten können bei Schülern tiefe Verletzungen hinterlassen

Wenn ich dann mit den betroffenen Schülern gesprochen habe, war da eine tiefe Verzweiflung in ihnen. Kein Schüler schreibt ABSICHTLICH schlechte Noten. Jeder Schüler gibt sein Bestes, das ihm gerade möglich ist. Wenn sie es besser könnten, dann würden sie es tun.

Viele Jugendliche schleppen große emotionale Rucksäcke mit sich, die es ihnen manchmal unmöglich machen, dem System zu entsprechen. Und viele Schüler, die es schaffen, dem System zu entsprechen und möglichst gute Noten zu schreiben, lernen dabei oft nur, was es braucht, um ein guter „Systemerfüller“ zu sein. Die persönliche Entwicklung bleibt dabei häufig auf der Strecke. Kreativität, Lernfreude, Eigenmotivation, Freude am Tun, Teamfähigkeit sind an unseren Schulen keine anerkannten Kriterien. Nein, es geht hauptsächlich um Noten. Doch diese sind lediglich Momentaufnahmen und sagen nur wenig über einen Menschen aus. 

Daher sollte ich mich als Vater/Mutter fragen, welche Einstellung ich zu Noten habe.

  • Warum ist es mir wichtig, dass meine Tochter eine gute Schülerin ist, dass mein Sohn gute Zeugnisse hat?
  • Identifiziere ich mich mit den Noten meines Kindes?
  • Bin ich ein besserer Vater, wenn meine Kinder in der Schule erfolgreich sind?
  • Wie geht es mir als Mutter, wenn mein Kind „versagt“?
  • Habe ich dann womöglich als Mutter versagt?

Erst wenn wir als Eltern ehrliche Antworten auf diese Fragen gefunden haben, dann können wir unsere Kinder auf ihrem Weg so unterstützen, dass sie trotz dieses Systems zu psychisch gesunden, selbstbewussten, eigenverantwortlichen, selbstwirksamen und glücklichen Erwachsenen werden können.

Aber solange das Schulsystem „Fische als nicht genügend beurteilt, weil sie nicht auf Bäume klettern können“ (siehe Videolink unten), und Eltern unreflektiert diesen Druck an ihre Kinder weitergeben, wird Schuljahr für Schuljahr vielen Kindern die natürliche Freude am Lernen abtrainiert und es wird verhindert, dass sie IHR eigenes, ihnen innewohnendes Potential entfalten. 

Zum Thema passend empfehle ich das folgende Video, das mich jedes Mal wieder tief berührt, obwohl ich es schon sehr oft gesehen habe und auch in meinen Vorträgen und Workshops immer wieder Eltern und Lehrern vorspiele: https://www.youtube.com/watch?v=dqTTojTija8

Ich wünsche dir gutes Gelingen beim Hinterfragen, Entdecken und Üben und freue mich auf deine Fragen und Rückmeldungen.

Weitere Leitfragen folgen im nächsten Artikel.

Alles Liebe

Ines

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