Kinder brauen unser Vertrauen
Nur kurz am Anfang zur Erinnerung der Inhalte der ersten beiden Teile meiner kleinen Serie: im ersten Teil ging es um die Kommunikation in der Familie und das Zustandekommen von sogenannten „Vereinbarungen“ mit Jugendlichen. Der zweite Teil befasste sich mit dem Gedanken, dass Jugendliche nichts GEGEN ihre Eltern, sondern FÜR sich tun, auch wenn das von außen auf den ersten Blick für Eltern vielleicht nicht immer so aussehen mag. Ich würde mich sehr freuen, wenn sich durch euren Perspektivenwechsel bereits ein bisschen mehr Gelassenheit in der Beziehung zu euren jugendlichen Kindern einstellen konnte.
Im dritten und letzten Teil geht es nun erstens um einen Impuls, der mich vor vielen Jahren wirklich wachgerüttelt und mir bewusst gemacht hat, dass es eine gute und eine schlechte Nachricht in der Beziehung zu meinen Kindern gibt.
Ich mag mit der schlechten Nachricht beginnen: „ICH bin dafür verantwortlich, die Beziehung zu meinem Kind zu verändern!“ Was so viel heißt, wie „ICH habe die Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern unserer Beziehung und ich kann und darf diese Verantwortung nicht auf mein Kind abschieben!“
Und die gute Nachricht
„ICH bin dafür verantwortlich, die Beziehung zu meinem Kind zu verändern!“ Was auch bedeutet, dass ICH etwas verändern kann, wenn ICH das will. ICH kann mich entscheiden, mich weiter zu entwickeln. ICH kann neue Wege ausprobieren. Denn ICH habe die Zügel in der Hand. Ich bin nicht abhängig von einem Anderen. Und ja, ICH kann MICH und MEIN Verhalten verändern, wenn ICH das will.
Zu diesen beiden Nachrichten passt auch der dritte Gedanke, den ich heute mit euch teilen möchte. Denn es gibt einen Klassiker unter den unreflektierten Aussagen von Eltern an ihre Kinder, mit dem wahrscheinlich ganze Generationen von Jugendlichen konfrontiert waren, und den viele von uns Eltern, wahrscheinlich ohne ihn auf seinen Inhalt und seine Gültigkeit überprüft zu haben, übernommen haben.
„Du musst dir unser Vertrauen verdienen!“
Eltern sprechen oft davon, dass sich ihre Kinder ihr Vertrauen verdienen müssen bzw. wenn schon Dinge geschehen sind, die so nicht „vereinbart“ waren, dass sie ihrem Kind nicht mehr vertrauen können. Dem Wert „Vertrauen“ wird in unserer Gesellschaft eine große Bedeutung beigemessen. Ich finde diesen Wert im Kontext von Paar-, Freudes- und beruflichen Beziehungen auch sehr wertvoll. Doch im Zusammenhang mit der Erziehung von Kindern wird dabei oft übersehen, dass das Vertrauen, von dem Erwachsene sprechen, eigentlich GEHORSAM bedeutet.„Wenn du tust, was wir von dir wollen, können wir dir vertrauen.“
Doch wollen wir heute wirklich noch gehorsame Kinder, die „brav“ tun, was man ihnen sagt? Oder wollen wir nicht lieber Jugendliche, die spüren und wissen, was sie wollen oder eben nicht wollen, und sich das auch zu sagen trauen und danach handeln? Wollen wir wirklich eine Generation von JA-SAGERN erziehen?
Ich behaupte, dass sich alle Eltern Kinder wünschen, die in der Peergruppe, wenn es um Themen wie Rauchen, Alkohol, Sex, Drogen, … geht, NEIN sagen können. Doch wenn ein Kind nicht gelernt hat, dass sein NEIN auch Gewicht hat, dass sein NEIN gehört wird, dass sein NEIN in Ordnung ist; wenn ein Kind nicht geübt hat, NEIN zu sagen, dann wird ihm dies in den Situationen, in denen sich Eltern ein Nein ihres Kindes wünschen würden, nur schwer über die Lippen kommen. Und das Übungsfeld um Nein sagen zu lernen, ist nun einmal die Familie, so anstrengend und mühsam das auch manchmal für uns Eltern sein mag. Das was von Jugendlichen aber sehr wohl eingefordert werden darf und auch eingefordert werden sollte, ist VERLÄSSLICHKEIT.
Jugendliche sollten lernen, verlässliche Erwachsene zu werden. Doch dabei ist zu bedenken, dass das Erlernen dieser Kompetenz Zeit und Wiederholungen braucht, genauso wie das Erlernen von Gehen und Sprechen. D.h., dass Eltern nicht davon ausgehen sollten, dass es reichen müsste, EINMAL zu sagen, was man sich wünscht und was man erwartet, sondern, dass es sich auch hier um einen Lernprozess handelt, der Geduld braucht. Darauf dürfen wir vertrauen.
Kinder brauchen unser Vertrauen
Vertrauen sollte dabei – genauso wie Liebe – nicht an Bedingungen geknüpft sein. Vertrauen muss nicht verdient werden, denn Vertrauen wird geschenkt. Ich entscheide mich als Mutter oder Vater, meinem Kind vertrauen zu WOLLEN und das immer mit dem Gedanken im Hinterkopf, dass es dabei auch immer wieder Dinge tun und Entscheidungen treffen wird, die ich mir so nicht gewünscht habe. Doch die Aufgabe von Kindern ist es NICHT, ihre Eltern nicht zu enttäuschen. Enttäuscht werden kann ja nur jemand, der eine Erwartung in eine Person hat, die diese vielleicht nicht erfüllen kann oder will.
Vertrauen in Bezug auf Kinder und Jugendliche, bedeutet für mich, dass ich als Eltern darauf vertrauen darf, dass mein Kind seine Erfahrungen selber machen muss, dass es „Fehler“ machen wird, dass es sich auch vielleicht verletzen und Situationen falsch einschätzen wird, dass es traurig und frustriert sein wird, dass es gegen die Wand läuft. Obwohl daneben eine offene Tür ist UND, dass es sich auch manchmal nicht an Vereinbarungen halten wird. ALLE diese Erfahrungen MÜSSEN Kinder selbst machen dürfen, wenn wir wollen, dass aus ihnen psychisch gesunde, eigenverantwortliche, selbstwirksame, resiliente und glückliche Erwachsene werden. Unsere Aufgabe dabei ist es, für sie da zu sein, sie in den Arm zu nehmen, zu trösten und es auszuhalten, wenn es ihnen nicht gut geht.
Ich freue mich wie immer auf eure Kommentare, Fragen und euer Feedback.
Herzliche Grüße
Eure
Ines Berger
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