Jede Schule ist so gut, wie die Beziehungskultur, die sie kultiviert

Die Not im Schulalltag scheint immer größer zu werden. Immer mehr Eltern suchen nach alternativen Schulformen für ihre Kinder. Die Zahl der Schulverweigerer*innen und Schulabbrecher*innen steigt. Immer mehr Kinder und Jugendliche zeigen bereits psychosomatische Auffälligkeiten, und auch viele Lehrer*innen bleiben in diesem System auf der Strecke.

Schule als Dienstleistungsunternehmen

„Die“ Schule scheint mir das einzige „Dienstleistungsunternehmen“ zu sein, das sich nicht fragt, was es denn ändern könnte, damit ihm seine Kund*innen nicht verloren gehen und die Kundenzufriedenheit wieder steigt. Nein, im Gegenteil: es erklärt seinen „Kunden“, den Kindern und Jugendlichen, dass sie nicht mit dem System kompatibel seien. Es fordert, dass sie sich besser anpassen müssten, um darin erfolgreich zu sein. Werden die Schüler*innen „verhaltensauffällig“, dann wird ihnen oft sogar nahegelegt, eine Therapie zu machen. Sie sollen wieder funktionieren und ihre geforderte Leistungen bringen. Und auch an den Eltern und Lehrer*innen wird selten ein gutes Haar gelassen.

Ich kenne kein anderes „Dienstleistungsunternehmen“, das seine Kunden in die Therapie schicken würde, wenn diese sich weigern, die angebotenen Produkte zu kaufen. Im Gegenteil: Ein kundenorientiertes Unternehmen fragt sich zuerst, was denn mit seinem Produkt nicht stimmt, wenn es nicht (mehr) gekauft wird. Es analysiert den Markt, und evaluiert, was es verbessern darf, um erfolgreicher zu sein.

Beziehungskultur statt kluge Konzepte

Evaluationen und Verbesserungsvorschläge für das Schulsystem liegen bereits zur Genüge in den Schubladen diverser Entscheidungsträger*innen. Es gibt mittlerweile auch schon viele wundervolle (meist private) Schulen, die Orte für Wachstum und Potenzialentfaltung sind. Doch meiner Meinung nach gibt es auch nicht DAS alternative Schulsystem, nicht das EINE richtige Konzept, das Kinder und Jugendliche wachsen lässt. Den meisten Einfluss haben die Beziehungserfahrungen. Diese Erfahrungen beeinflussen nicht nur unser psychisches Wohlbefinden, sondern auch unsere Gene. Der Neurobiologe Joachim Bauer spricht dabei von „Psychologie macht Biologie“.

Daher braucht es als ersten Schritt ein Sich-bewusst-machen, welche Haltung denn beim Begleiten und Unterstützen von Kindern und Jugendlichen förderlich ist, und welche nicht. Kein noch so pädagogisch wertvolles Konzept kann besser sein, als die darin handelnden Personen. Das heißt für mich in der Übertragung auf das öffentliche System, dass es im ersten Schritt wichtig wäre, die gelebte Beziehungskultur zu analysieren. Dazu befragen sich ALLE im System involvierten Personen, was sie brauchen , um sich in der Schule wohlzufühlen.

Feedbackkultur

Dafür braucht es auch eine wertschätzende Feedbackkultur. Denn wir Menschen tun uns manchmal mit Fremdbild und Selbstbild schwer. Oft gibt es riesige Kluften, wie jemand sich selbst sieht und wie er von den anderen wahrgenommen wird. Diese Kluft kann aber nur verringert werden, wenn ich bereit bin, meinem Gegenüber genau zuzuhören, und es nicht als persönliche Kritik, sondern als Chance für meine eigene Persönlichkeitsentwicklung zu sehen.

Dazu könnte bereits in der Lehrer*innen-Ausbildung ein wesentlicher Beitrag geleistet werden, indem „Selbsterfahrung“ und „Persönlichkeitsentwicklung“ in den Fächerkanon aufgenommen werden. Denn je besser ich mich selbst kennen lerne, umso leichter fällt es mir, mit anderen in Beziehung zu gehen, mich den Schüler*innen als Mensch zu zeigen statt eine Lehrer*innenrolle zu spielen. Dabei geht es weniger um die Wissensvermittlung, als um ein Bewusstmachen, durch welche persönlichen „Programme“ jeder Einzelne „gesteuert“ wird.

Vom Opfer zum Schöpfer

(Nicht nur) das Schulsystem braucht Menschen, die

  • bereit sind, sich selbst und ihr Tun zu hinterfragen.
  • keine Angst davor haben, sich ihren Schatten zu stellen.
  • sich selbst nicht allzu ernst nehmen und auch über sich selbst lachen können
  • sich auf neue persönliche Prozesse und Lernerfahrungen einlassen wollen.

Kinder und Jugendliche brauchen Menschen, die

  • aus ganzem Herzen bereit sind, sich auf sie als Menschen einzulassen, ihnen zuzuhören, sie anzunehmen, wie sie sind (ohne das „auffällige“ Verhalten gutheißen zu müssen).
  • ihnen vertrauen, dass sie IHREN eigenen Weg gehen, auch wenn dieser Weg vielleicht einmal in eine Sackgasse führt, oder sich als „Fehler“ erweisen sollte.
  • sie liebevoll begleiten und unterstützen und ihnen das Gefühl geben, dass sie gut sind, wie sie sind.
  • davon überzeugt sind, dass in jedem von ihnen unglaubliche Potentiale schlummern, die entdeckt werden wollen.
  • erkannt haben, dass das auffällige Verhalten von Jugendlichen ein wichtiger Hinweis darauf ist, dass etwas gerade nicht passt und nicht guttut, und die sich dann geduldig darum kümmern, herauszufinden, was dieses Verhalten ausgelöst hat. Dieses empathische Verhalten von Erwachsenen dient als Vorbild, an dem sich Heranwachsende orientieren können.

Wenn an diesen Punkten vermehrt „gearbeitet“ werden würde, dann könnte sich – meiner Meinung nach – automatisch mehr Zufriedenheit, Gelassenheit und Freude in der Schule einstellen. Denn die einzelnen Personen wären keine Opfer des Systems mehr, sondern würden sich als Schöpfer*innen ihres schulischen Umfelds sehen, da sie spüren, wie wundervoll sich Selbstwirksamkeit anfühlt.

Was meinst du: Wie können wir es schaffen, Schule gelingender zu gestalten?

Ich wünsche dir einen wundervollen Sonntag und freue mich wie immer auf eure Anregungen, Kommentare und Fragen.
Alles Liebe,
Ines Berger